Update 08.03.2017
Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig hat mit Beschluss vom 08.03.2017 (3 Kap 1/16) nach einem mehrmonatigen Auswahlverfahren den Musterkläger bestimmt. Dieser wird von unserer Schwesterkanzlei TILP Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH vertreten.
Mit der jetzigen Bestimmung des Musterklägers beginnt das eigentliche Musterverfahren, welches nach unserer Erfahrung die Erfolgschancen der Klägerseite deutlich erhöht.
Ab jetzt besteht für die geschädigten Wertpapierinhaber die Möglichkeit, ihre Ansprüche innerhalb von sechs Monaten im Musterverfahren anmelden zu lassen. Trotz dieser sechsmonatigen Anmeldemöglichkeit ist auf eine mögliche Verjährung vor Ablauf dieser Frist zu achten. Diese könnte bereits am 23.05.2017 eintreten. Da die Rechtslage bezüglich der Verjährungsfristen im Fall Dieselgate ungeklärt ist, wird diese essentieller Gegenstand des Musterverfahrens werden. Wir raten daher, die erforderlichen Verfahrensschritte sehr zeitnah einzuleiten. Die mögliche Verjährung zum 23.05.2017 betrifft besonders gut gelagerte Ansprüche aus den §§ 37b und c Wertpapierhandelsgesetz a.F. (WpHG), insbesondere in Bezug auf Aktienkäufe ab dem 23.05.2014. In diesen Fällen sollten deshalb bereits vor diesem Datum verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen werden.
Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb von Derivaten dagegen verjähren noch nicht zum 23.05.2017, weswegen hierfür ggf. bis zum Ende der sechsmonatigen Anmeldefrist zum Musterverfahren (näheres dazu unter Handlungsalternative B) Zeit für eine Anmeldung besteht.
m Musterverfahren werden die Interessen auf Seiten der Kläger gebündelt. Alle Beteiligten können so gemeinsam für ihre Sache streiten. So wird der Druck auf die Beklagtenseite maximal erhöht. Die wichtigsten Anlegerprozesse der letzten Jahre sind durch die Durchführung eines KapMuG-Musterverfahrens gewonnen worden. Nehmen Sie den Fall Telekom DT3: Diesen hat unsere Kanzlei beim Bundesgerichtshof (BGH) im Oktober 2014 gewonnen; ebenso den Fall Hypo Real Estate, in dem wir den Musterkläger im Dezember 2014 vor dem Oberlandesgericht (OLG) München zum Sieg geführt haben. Beides waren Musterverfahren nach dem KapMuG.
Der Vorlagebeschluss ist quasi der Startschuss im Musterverfahren. Hierdurch wird formell das Musterverfahren eingeleitet. Nunmehr sind noch wenige Verfahrensschritte erforderlich. So muss das zuständige Oberlandesgericht Braunschweig den Musterkläger bestimmen und bekannt machen.
Der Vorlagebeschluss umfasst insgesamt 25 Seiten und beinhaltet die sogenannten Feststellungsziele, welche im Rahmen des Musterverfahrens von dem dann zuständigen Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig zu beantworten sind. Der Vorlagebeschluss stellt also quasi das Arbeitsprogramm für das Musterverfahren dar. Insgesamt enthält der Vorlagebeschluss 193 Feststellungsziele auf Klägerseite und 10 Feststellungsziele auf Beklagtenseite. Inhaltlich folgte das LG vor allem den Feststellungszielen von TILP, indem es diese fast sämtlich in den Beschluss übernommen hat.
VW hat nach unserer festen Rechtsüberzeugung gegen deutsches Recht verstoßen, weil gesetzlichen Informationspflichten nicht nachgekommen wurde. Es handelt sich bei den verschwiegenen Informationen um Umstände, die den Aktienkurs des Unternehmens maßgeblich beeinflussen. Aktionäre haben ein Recht, über solche entscheidenden Dinge informiert zu sein. Uns liegen Dokumente vor, die die Schadensersatzpflicht von VW hinreichend belegen dürften. Danach hat VW jedenfalls seit dem 6. Juni 2008 den Kapitalmarkt pflichtwidrig nicht darüber informiert, dass ganz immense finanzielle Risiken drohen aus seinem rechtswidrigen Verhalten gerade in den USA. Wer das amerikanische Rechtssystem kennt, musste mit Risiken im zweistelligen Milliardenbereich rechnen, wenn er Abgaswerte manipuliert – und VW hat das gewusst. Entweder die Organe von VW hatten von den Manipulationen Kenntnis oder das Unternehmen muss sich so behandeln lassen, als ob diese Kenntnis vorhanden war. Dies folgt aus dem vom BGH entwickelten Rechtsinstitut des sogenannten Organisationsverschuldens. Derartige Risiken hätten aber jeden Anleger interessiert, egal ob Kleinanleger oder institutioneller Investor.
Nach unserer Einschätzung glaubt Herr Müller dies selber nicht, seine Aussage hat taktische Gründe. Der US-Chef von Volkswagen, Michael Horn, hat ja bereits öffentlich eingeräumt, dass er seit Mai 2014 Kenntnis von den Vorgängen hatte.
All diejenigen Erwerber von Wertpapieren, welche ab dem 6. Juni 2008 gekauft haben, und zwar unabhängig davon, ob diese Wertpapiere dann am 18. September 2015 noch gehalten wurden oder bereits verkauft waren. Gegenstand von Ansprüchen sind folgende Wertpapiere: Stamm- und Vorzugsaktien auf Volkswagen, VW-Anleihen, Derivate auf VW-Aktien und –Anleihen, wie beispielsweise Optionsscheine, Zertifikate oder Optionen, wie schließlich auch Porsche-Aktien.
Hier muss man unterscheiden. Zum einen gewährt das Gesetz den sogenannten Kursdifferenzschaden (KDS). Auf Basis des § 37 b WpHG ist dieser KDS besonders einfach geltend zu machen, da er die Beweislast in mehrerlei Hinsicht zu Lasten von VW umdreht. Für VW-Vorzüge haben wir den KDS berechnet auf EUR 61,80 pro Stück, für die VW-Stämme auf EUR 56,20 pro Stück. Voraussetzung für diesen KDS ist, dass die Wertpapiere ab dem 06.06.2006 gekauft wurden und am 18. September 2015 noch im Depotbestand waren. Dieser KDS wird vom Gesetz quasi abstrakt gewährt, und zwar unabhängig davon, wie hoch der tatsächliche Schaden ist und ob die Papiere nach dem 18. September 2015 verkauft wurden oder noch gehalten werden.
Zum anderen kann alternativ zum KDS auch der „normale“ Schadensersatz gefordert werden, die sogenannte Naturalrestitution bzw. der Transaktionsschaden, § 249 BGB. Allerdings muss dann auch ein tatsächlicher (Buch)Verlust eingetreten sein. Für diesen Schaden ist es völlig unerheblich, ob die Papiere verkauft wurden oder bis wann sie im Depotbestand waren, entscheidend ist allein, dass sie in dem Zeitraum 6. Juni 2008 bis 18. September 2015 gekauft worden sind.
Beispiel: Am 20.07.2015 haben Sie 100 Stück VW-Stammaktien zu einem Kurswert von 201,- EUR erworben.
Variante 1: Diese Aktien halten Sie bis heute (21.10.2015, aktueller Schlusskurs: 119,95 EUR) in Ihrem Bestand.
- Der Kursdifferenzschaden beträgt in diesem Fall 5.620,- EUR (100 Stk. * 56,20 EUR).
- Der Transaktionsschaden beträgt wirtschaftlich aktuell (am 21.10.2015) 8.105,- EUR (100 Stk. * (201,- EUR minus 119,95 EUR)).
Erläuterung: Solange die Aktien nicht veräußert werden, variiert die Höhe des Transaktionsschadens jeweils parallel zu der künftigen Entwicklung des Aktienkurses. Das heißt, bei fallendem Aktienkurs vergrößert sich der Transaktionsschaden entsprechend und bei steigendem Aktienkurs verringert sich der Transaktionsschaden. Sollte der Aktienkurs künftig gar wieder den Kurs übersteigen, zu dem Sie die Aktien gekauft haben, sinkt der Transaktionsschaden wirtschaftlich auf Null.
An der Höhe des Kursdifferenzschadens ändert sich jedoch nichts, unabhängig davon, wie sich der Aktienkurs künftig entwickelt und unabhängig davon, ob Sie die Aktien künftig veräußern oder weiterhin halten.
Variante 2: Sie haben die Aktien am 14.10.2015 zu einem Kurswert 128,60 EUR veräußert.
- Der Kursdifferenzschaden beträgt in diesem Fall – wie in Variante 1 – 5.620,- EUR (100 Stk. * 56,20 EUR).
- Der Transaktionsschaden beträgt 7.240,- EUR (100 Stk. * (201,- EUR minus 128,60 EUR))
Erläuterung: Im Falle einer Veräußerung der Aktien wird die Höhe des Transaktionsschadens fixiert (Einstandspreis minus Veräußerungserlös) und durch künftige Kursentwicklungen weder positiv noch negativ beeinflusst. Selbst wenn Sie künftig erneut VW-Aktien erwerben sollten, bliebe dieser einmal durch die Aktienveräußerung realisierte Transaktionsschaden bestehen und kann gegenüber der Volkswagen AG geltend gemacht werden.
Variante 3: Sie haben die Aktien gleich nach Beginn des Kursverfalls am 21.09.2015 bei einem Kurs von 133,70 EUR veräußert.
-Der Kursdifferenzschaden beträgt in diesem Fall– wie in den Varianten 1 und 2 – 5.620,- EUR (100 Stk. * 56,20 EUR)
-Der Transaktionsschaden beträgt 6.730,- EUR (100 Stk. * (201,- EUR – 133,70 EUR))
Erläuterung: Auch wenn zum Zeitpunkt der Veräußerung der Aktien am 21.09.2015 der Kurssturz noch nicht beendet war und sich am Folgetag fortsetzte, kann nach unserer Überzeugung der volle Kursdifferenzschaden geltend gemacht werden. Entscheidend ist nach dem Gesetzeswortlaut allein, dass die Aktien bei Bekanntwerden der Insiderinformation noch gehalten wurden, vorliegend also am 18.09.2015.
Variante 4: Sie haben die Aktien bereits vor Bekanntwerden des Manipulationsskandals am 24.08.2015 zu einem Kurswert von 158,55 EUR verkauft.
- Ein ersatzfähiger Kursdifferenzschaden dürfte hier ausscheiden.
- Der Transaktionsschaden beträgt in diesem Fall 4.245,- EUR (100 Stk. * (201,- EUR minus 158,55 EUR).
Erläuterung: Einen ersatzfähigen Kursdifferenzschaden halten wir in diesem Fall nicht für gegeben, da die Aktien zwar „zu teuer“ gekauft, jedoch in gleichem Maße „zu teuer“ verkauft worden sein dürften.
Wie hoch ist der Streitwert, an dem sich die Rechtsanwaltsgebühren sowie die eventuellen Gerichtskosten bemessen?
Im Falle der Geltendmachung des Kursdifferenzschadens entspricht der Streitwert der Höhe der Schadensersatzforderung. In den Varianten 1 bis 3 des Beispielsfalles würde der Streitwert also jeweils 5.620,- EUR betragen.
Bei der Geltendmachung des Transaktionsschadens ist zu unterscheiden:
- Halten Sie die Aktien noch in Ihrem Bestand, entspricht der Streitwert maximal der Höhe des des wirtschaftlichen Schadens. Der Streitwert des Anspruchs in Variante 1 des Beispielsfalles würde z.B. 7.608,00 EUR betragen (100 Stk. * (56,20 EUR + 0,8 * (81,05 EUR – 56,20 EUR))).
- Haben Sie die Aktien zwischenzeitlich veräußert, beschränkt sich der Streitwert dieses Anspruchs auf die Differenz zwischen Erwerbspreis und Veräußerungserlös. In den Varianten 2 bis 4 des Beispielsfalles würden die Streitwerte somit den dort aufgeführten Schadensbeträgen entsprechen (Variante 2: 7.240,- EUR; Variante 3: 7.630,- EUR; Variante 4: 4.245,- EUR).
Erläuterung: Sofern die Aktien noch gehalten werden, hat die Schadensersatzforderung gegen Volkswagen den Ersatz des wirtschaftlichen Schadens zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zum Gegenstand. Der Streitwert entspricht in diesem Fall der Höhe des Kursdifferenzschadens (als Sockelschaden) zuzüglich 80 % eines etwaigen darüber hinausgehenden wirtschaftlichen Transaktionsschadens. Im Falle der zwischenzeitlichen Veräußerung der Wertpapiere wird hingegen Ersatz der Differenz zwischen Kaufpreis und Verkaufserlös von der Volkswagen AG verlangt, mindestens jedoch der Kursdifferenzschaden.
Das kommt darauf an. Aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der Rechtsschutzbedingungen bedarf dies einer genauen Überprüfung im Einzelfall. Unsere Kanzlei kann gegebenenfalls jedoch einen Prozessfinanzierer vermitteln, angesichts der kostengünstigen Möglichkeiten der Rechtswahrnehmung im Musterverfahren empfehlen wir jedoch eine eigene Finanzierung der Rechtsverfolgung.
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