Musterprozess gegen die Deutsche Telekom AG: Wichtige Zeugenaussagen in den deutschen Generalkonsulaten in San Francisco und New York untermauern die Rechtsauffassung von TILP Rechtsanwälte – Analyse der ungeschwärzten Depositions offenbart hohes Risiko des VoiceStream-Deals – Rechtsgutachter bewertet die vorläufige Ansicht des OLG Frankfurt zum Komplex Immobilienfehlbewertung als „schlechterdings nicht vertretbar“ – Prozessende nicht absehbar
Kirchentellinsfurt/New York, den 04.05.2009
Im Musterprozess nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt gegen die Deutsche Telekom u. a. wurden bis vergangenen Freitag in den USA vier wichtige Zeugen vernommen.
Bekanntlich vertritt TILP Rechtsanwälte den Musterkläger in diesem Prozess, welcher sich mit dem Dritten Börsengang der Telekom im Juni 2000 (DT3) befasst. Der Musterprozess soll für rund 17.000 Kläger insbesondere klären, ob der Börsenprospekt fehlerhaft war und daneben auch sonstige Kapitalmarktinformationen falsch waren oder unterlassen wurden.
Wichtige Zeugenaussagen zum Komplex VoiceStream untermauern die Rechtsauffassung des Musterklägers
Unter Beteiligung der OLG-Richter des 23. Senats Dr. Dittrich, Wolffram-Falk und Rathmann, der Rechtsanwälte der Beklagtenseite Dr. Schmitz und Kleemann sowie der Klägeranwälte Tilp und Schiefer wurden am 28.04.2009 die wichtigen Zeugen Bob Stapleton und Dirk Mosa sowie am 29.04.2009 der Zeuge John Stanton jeweils im deutschen Generalkonsulat in San Francisco vernommen. Ferner erfolgte am 01.05.2009 im deutschen Generalkonsulat in New York die Vernehmung des Zeugen Lou Friedman. John Stanton war zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen um die unmittelbar nach dem Dritten Börsengang der Telekom erfolgte rund 39 Milliarden Euro schwere VoiceStream-Übernahme Vorstandsvorsitzender von VoiceStream, Bob Stapleton deren Mitbegründer und ebenfalls im Vorstand. Dirk Mosa war zuständiger Projektmanager seitens der Telekom, Lou Friedman führte die Vertragsverhandlungen für die von der Telekom beauftragte Investmentbank DLJ.
„Nach den jetzigen Zeugenaussagen steht fest, dass noch während des laufenden Börsenganges DT3 für die Telekom sinnvoller Weise nur und ausschließlich ein Deal mit dem Unternehmen VoiceStream in Betracht kam, sollte die Telekom eine US-Firma aus der Mobilfunksparte erwerben wollen. Denn nur VoiceStream verfügte über die für die Telekom sehr wichtige kompatible GSM-Technologie und zugleich über die insoweit größtmögliche Netzabdeckung in den USA („national footprint“)“, erläutert Rechtsanwalt Andreas Tilp. „Da die Übernahme von VoiceStream von der Telekom selbst als ein ihre Unternehmensstruktur verändernder Deal angesehen wurde („transforming deal“), hätten diese Umstände nach unserer Rechtsauffassung spätestens in die Prospektnachträge aufgenommen werden müssen“, ergänzt Rechtsanwalt Marc Schiefer.
Auswertung der ungeschwärzten Depositions offenbart hohes Risiko des VoiceStream-Deals
Erst unmittelbar vor Abflug in die USA wurden TILP Rechtsanwälte die nunmehr überwiegend ungeschwärzten Fassungen der US-Depositions in deutscher Übersetzung vom Gericht überlassen. Bekanntlich war es TILP gelungen, die Herausgabe der „depositions“ (eidlicher Zeugenaussagen) der Herren Sommer, Ricke, Eick und Hedberg im US-Sammelklageverfahren gegen die Telekom durch richterlichen Beschluss zu erwirken, doch hatte die Telekom diese zunächst großflächig geschwärzt. „Dies war unseres Erachtens rechtswidrig, da die Schwärzungen zum größten Teil ebenfalls den Komplex VoiceStream betrafen“, merkt Rechtsanwalt Tilp an. Aus der TILP erst jetzt ermöglichten Auswertung der Depositions ergibt sich, dass dem Vorstand der Telekom am 3.7.2000 vorgelegte Analysen eine deutliche Verringerung des Gewinns pro Aktie in den Folgejahren einer eventuellen VoiceStream-Übernahme auswiesen ebenso wie deutliche EBITDA-Verringerungen für die Jahre bis einschließlich 2004.
Vorläufige Ansicht des OLG Frankfurt zum Komplex Immobilienfehlbewertung „schlechterdings nicht vertretbar“
Bekanntlich hatte TILP zu den Prospektfehlern hinsichtlich der Immobilienfehlbewertung ein Gutachten des renommierten Tübinger Prospekthaftungsrechtlers Professor Heinz-Dieter Assmann vom März 2005 in den Prozess eingeführt. Mit Hinweisbeschluss vom Mai 2008 hat das OLG Frankfurt seine vorläufige Ansicht zum Komplex Immobilienfehlbewertung dargelegt: Das von der Telekom verwandte Clusterverfahren sei zwar zum einen ungewöhnlich gewesen und zum anderen habe der Börsenprospekt keinen Hinweis auf die diesbezügliche Anwendung einer handelsrechtlichen Ausnahmevorschrift durch die Telekom enthalten, sei somit unvollständig und damit fehlerhaft gewesen, doch stelle dies keinen „wesentlichen“ Prospektfehler dar; denn ein solcher sei nur dann gegeben, wenn die Anwendung des Clusterverfahrens zu einer Überbewertung des Anlage- bzw. Immobilienvermögens „in erheblichem Umfang geführt“ habe.
Professor Assmann gelangt in einer von TILP Rechtsanwälte nunmehr fristgerecht zum 30.04.2009 vorgelegten ergänzenden Stellungnahme zu dieser vorläufigen Ansicht des OLG zu dem Ergebnis, dass diese „nicht mit den geltenden Grundsätzen des Prospekthaftungsrechts vereinbar“ sowie „schlechterdings nicht vertretbar“ sei. Assmann weiter: „Wäre diese Auffassung des Gerichts zutreffend, wäre etwa die von einem Emittenten vorgenommene Bewertung seines Vermögens unter Einsatz eines Affen, der Pfeile auf eine mit Grundstückswerten versehene Dart-Scheibe wirft, dann nicht in den Prospekt aufzunehmen, wenn sich nachträglich herausstellen sollte, dass die Abweichung zwischen dieser (fraglos gesetzeswidrigen) Bewertungsmethode und der gesetzlich geforderten Methode in dem fraglichen Fall gar nicht gravierend ist.“
Ende der Frankfurter Zwischeninstanz nicht absehbar
Bekanntlich wurden die ersten deutschen Klagen im Fall Telekom von TILP Rechtsanwälte Anfang 2001 eingereicht. Erst seit April 2008 verhandelt das OLG Frankfurt über die vielfachen und ganz unterschiedlichen Vorwürfe: Dabei stellen die Komplexe VoiceStream und Immobilienfehlbewertung nur zwei von weiteren wesentlichen Rechtsvorwürfen dar. Bis heute steht noch nicht fest, mit welchen Komplexen sich das OLG insgesamt zu befassen hat, da der insoweit maßgebliche Vorlagebeschluss vom Landgericht zu verfassen ist, dem OLG nach den Regelungen des KapMuG aber lediglich die Funktion zukommt, diesen „abzuarbeiten“. „Schon vor dem Hintergrund, dass das Landgericht noch über Erweiterungsanträge zu entscheiden hat und TILP Rechtsanwälte nach Vorlage der Protokolle über die jetzigen Zeugenvernehmungen weitere Erweiterungsanträge nach § 13 KapMuG stellen wird, ist ein Ende der jetzigen Zwischeninstanz noch nicht absehbar“, resümmiert Rechtsanwalt Tilp.