VW-Dieselgate/Anlegerklagen: Landgericht (LG) Stuttgart erlässt wegweisenden Vorlagebeschluss zwecks Einleitung eines Musterverfahrens gegen die Porsche Automobil Holding SE (PSE) nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) und teilt zentrale Rechtsauffassungen der Kanzlei TILP zur Haftung der Volkswagen AG und der PSE – LG Stuttgart geht kapitalmarktrechtlich von einem „Rechtsverstoß der Volkswagen AG bei der Erfüllung von gesetzgeberischen Umweltstandards als eingetretene Tatsache“ aus sowie davon, dass sich die PSE „mit einer bei der Volkswagen AG bestehenden Insiderinformation in den Jahren 2014 und 2015 infiziert hat“ – Flügelzange von TILP trägt Früchte
Kirchentellinsfurt, 01. März 2017
Das Landgericht (LG) Stuttgart hat am gestrigen Abend den Beteiligten der Stuttgarter Verfahren gegen die Porsche Automobil Holding SE (PSE) und gegen die Volkswagen AG (VW) per E-Mail einen Vorlagebeschluss nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) gegen die PSE übersandt und mitgeteilt, dass es diesen „auf der Internetplattform des Bundesanzeigers hochgeladen“ hat. Das LG bezweckt damit die Einleitung eines Musterverfahrens gegen die PSE vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart, und zwar parallel zu dem bereits eingeleiteten Musterverfahren gegen VW vor dem OLG Braunschweig. Der Vorlagebeschluss stammt vom 28.02.2017 und trägt das Aktenzeichen 22 AR 1/17 Kap.
„Der Vorlagebeschluss ist 129 Seiten stark und sowohl wegweisend als auch taktgebend für die deutschen Anlegerklagen im Zusammenhang mit VW-Dieselgate – sowohl was die Haftung von VW wie deren Mutter PSE betrifft und egal, ob diese Klagen am Ende des Tages in Musterverfahren vor dem OLG Braunschweig oder parallel auch vor dem OLG Stuttgart verhandelt werden“, kommentiert Rechtsanwalt Andreas W. Tilp, Geschäftsführer der Tübinger Kanzleien TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbh (TILP) und TILP Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (TILP Litigation). Beide Kanzleien haben die PSE und VW vor dem LG Stuttgart wegen kapitalmarktrechtlicher Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit VW-Dieselgate auf Schadenersatz verklagt. Zusammen geht es dort aktuell um 115 Klagen mit einer Gesamtklagforderung von über 550 Millionen Euro, darunter 147 institutionelle Kläger aus der ganzen Welt. Vor dem LG Braunschweig vertreten beide TILP-Kanzleien darüber hinaus über 1.400 Kläger mit zusammen über 5,2 Milliarden Euro Gesamtklagforderung.
Der Vorlagebeschluss wurde vom Stuttgarter Richter am LG Dr. Fabian Richter Reuschle als Einzelrichter erlassen, dem ehemaligen Gesetzgebungsreferenten im Bundesministerium der Justiz (BMJ) des im November 2005 in Kraft getretenen KapMuG.
Flügelzange von TILP trägt Früchte
TILP hatte vor dem LG Stuttgart als einzige Kanzlei neben der PSE auch VW verklagt. „Nach unserer Überzeugung stehen Volkswagen und Porsche als Gesamtschuldner in der Verantwortung gegenüber den Investoren und Anlegern, welche im Zusammenhang mit VW-Dieselgate Schäden in Wertpapieren in Milliardenhöhe erlitten haben“, betont TILP-Anwalt Axel Wegner. „Unsere Strategie einer Flügelzange, um im Bild des Fußballsports zu sprechen, ging damit auf – VW und PSE sind so unter doppelten Druck geraten, in Braunschweig wie in Stuttgart“, ergänzt TILP-Anwalt Marvin Kewe.
LG Stuttgart teilt Rechtsauffassung von TILP in zentralen Punkten
In zentralen Punkten teilt das LG die Rechtsauffassung von TILP, die die Kanzlei schriftsätzlich vorgetragen hatte. So geht das LG kapitalmarktrechtlich (vgl. Randziffer (Rz.) 160 seines Beschlusses) von einem „Rechtsverstoß der Volkswagen AG bei der Erfüllung von gesetzgeberischen Umweltstandards als eingetretene Tatsache“ aus, und zwar sowohl auf dem „US-amerikanischen Markt“ wie auch dem „europäischen Binnenmarkt“ (ebenfalls Rz. 160). Daraus habe sich jedenfalls seit „Mai 2014“ ein „Risiko der Aufdeckung der Rechtsverstöße der Volkswagen AG“ ergeben, welches „deutlich über 50%“ lag, und damit eine Insiderinformation in Form „drohender Bußgelder und Schadensersatzforderungen“ (vgl. Rz. 162). Die PSE habe sich damit, nämlich „mit einer bei der Volkswagen AG bestehenden Insiderinformation in den Jahren 2014 und 2015 infiziert“ (Rz. 228).
Das LG Stuttgart fasst seine Ergebnisse folgender Maßen zusammen (Rz. 247):
„VI ― Ergebnis: Rechtlicher Standpunkt des Vorlagegerichts
Der Standpunkt des Vorlagegerichts lässt sich aus rechtlicher Sicht wie folgt zusammenfassen:
― Ein Mutterunternehmen kann sich als herrschendes Unternehmen nicht seiner Veröffentlichungspflicht dadurch entziehen, indem es auf die bestehende Veröffentlichungspflicht des abhängigen Unternehmens verweist.
― Das Mutterunternehmen trifft eine kapitalmarktrechtliche Informationsbeschaffungspflicht, mit welcher auch im faktischen Konzern eine kapitalmarktrechtliche Auskunftspflicht des abhängigen Unternehmens korreliert.
― § 15 WpHG gewährt in Konzernverhältnissen bei richtlinienkonformer Auslegung einen Informationsanspruch der Konzernobergesellschaft gegen das abhängige Unternehmen zum Zwecke der Erfüllung der Ad-hoc-Publizität.
― Ein Mutterunternehmen kann sich im Konzernverhältnis aufgrund der Personalunion von Organmitgliedern im Tochterunternehmen an Insiderinformation aus der Sphäre des Tochterunternehmens infizieren mit der Folge einer Wissenszurechnung.
― Einer Weitergabe von Insiderinformationen aus der Sphäre des Tochterunter-nehmens durch den Vorstand steht weder das insiderrechtliche Weitergabeverbot nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG noch die in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG statuierte Verschwiegenheitspflicht entgegen, soweit die Weitergabe der Erfüllung der öffentlichen Pflicht zur Ad-hoc-Publizität dient.“
Vorlagebeschluss des LG Stuttgart wegweisend
Sollte es zu einem Musterverfahren vor dem OLG Stuttgart kommen, wäre der Vorlagebeschluss für dieses nach § 6 KapMuG bindend. „Unsere Kanzlei sieht zu der Frage, ob es angesichts der Regelung des § 7 KapMuG zur Einleitung eines parallelen Stuttgarter Musterverfahrens zu VW-Dieselgate kommen kann, rechtliche Unsicherheiten. So oder so werden sich die Oberlandesgerichte – Stuttgart wie Braunschweig – mit dem Beschluss des LG Stuttgart auseinander setzen. Angesichts der ausführlichen Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage durch das LG ist der Beschluss wegweisend und legt die Hürden für VW und PSE sehr hoch“, resümiert Rechtsanwalt Tilp.
Weitere Informationen für Anleger
TILP hat eine Plattform unter www.vw-klage.de eingerichtet, auf der sich geschädigte Anleger und Investoren kostenfrei registrieren können und dann weitere Informationen erhalten.
Kontakt
TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Andreas W. Tilp | Rechtsanwalt
Axel Wegner | Rechtsanwalt
Marvin Kewe | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
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